Protestaktion an der albanischen Shushica: Vjosa-Nationalpark in Gefahr

150 Personen, darunter die Bürgermeister aus 12 Dörfern des Shushicatales protestierten heute gegen die Wasserableitung aus dem Vjosa Nationalpark

© Josh David Lim

 

++ Das ganze Tal der Shushica stellt sich gegen die Ableitung ihres Wassers: Am Samstag, 24. Februar, haben sich die Bürgermeister aus dem Shushicatal versammelt, um gegen die naturzerstörerischen Pläne an der Shushica zu protestieren ++ Albanische Regierung will dem Nebenfluss der Vjosa das Wasser abzapfen ++ Vjosa-Nationalpark bereits nach einem Jahr in Gefahr ++

Radolfzell, Wien, Tirana, Kuç. 12 Bürgermeister sowie 150 weitere Bewohner des Shushicatales und anderer Regionen des Vjosa Nationalparks, Aktivistinnen, Anwälte und Wissenschaftlerinnen haben sich am heutigen Vormittag im Dorf Kuç an den Ufern der Shushica versammelt. Sie protestieren gegen die Pläne der Regierung in Tirana, der Shushica das Wasser zu entnehmen und es an die 17 Kilometer entfernte Mittelmeerküste nach Himara zu leiten, um dort den Massentourismus zu fördern.

Der Vjosa-Wildflussnationalpark wurde erst im März 2023 feierlich ausgerufen und umfasst neben der Vjosa auch ihre wichtigsten Nebenflüsse, darunter die Shushica. Nicht einmal ein Jahr später könnte die Shushica ihren Schutzstatus verlieren, der Vjosa-Nationalpark „amputiert“ werden. 140 Liter Wasser pro Sekunde sollen der Shushica entnommen werden. Dadurch würde der Oberlauf des Flusses im Sommer komplett austrocknen. Dies hätte nicht nur schwerwiegende Folgen für die Artenvielfalt, sondern auch für die lokale Bevölkerung. Rund 30 Dörfer wären von den Maßnahmen betroffen. Die Shushica könnte als Folge vom Nationalpark ausgeschlossen werden, weil derartige Eingriffe in dieser Schutzkategorie untersagt sind. Dadurch würde die lokale Bevölkerung nicht in den Genuss des Ökotourismus kommen.

12 Bürgermeister und zahlreiche andere Bewohner*innen des Shushica-Tals und anderer Regionen des Vjosa-Nationalparks, Aktivist*innen, Anwält*innen und Wissenschaftler*innen protestieren gegen das Wasserumleitungsprojekt in Kuç © Adrian Guri

Wir haben auf den Nationalpark gehofft, weil wir wirtschaftliche Entwicklung erwarten. Wir sind eine Region, die von Abwanderung betroffen ist. Der Nationalpark könnte das ändern. Aber wenn sie uns nun das Wasser nehmen und der Shushica der Nationalpark-Status aberkannt wird, dann verlieren wir unsere wirtschaftliche Zukunft“, sagt Elidon Kamaj, Bürgermeister von Brataj.

Finanziert wird das Projekt von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sowie von dem Western Balkan Investment Framework (WBIF), die Bauarbeiten führt das das österreichische Unternehmen STRABAG durch. Die Genehmigungen der Ministerien sowie die Finanzierungen basierten auf einer völlig fehlerhaften Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung. Die Folgen für die Shushica wurden nicht einmal untersucht, die Menschen entlang der Shushica nicht informiert. Nationale und internationale Wissenschaftler, die diese Analysen überprüften, kamen zu dem Schluss, dass die Ergebnisse irreführend und falsch seien (siehe Anhang).

Astrit Balilaj, Bürgermeister von Kuç sagt „Wir werden nicht zulassen, dass uns das Wasser gestohlen wird. Man hat uns nie informiert über dieses Projekt, wir haben erst davon erfahren, als die Bagger kamen. Wir werden nicht zulassen, dass sie unser Wasser stehlen, wir werden die Bauarbeiten blockieren.“ Mehr als 50 Anrainer reichten zusammen mit der albanischen Naturschutzorganisation EcoAlbania Klage gegen dieses Projekt ein. Die erste Anhörung vor Gericht ist noch ausständig.

Erst beim Eintreffen der Maschinen wurde die örtliche Bevölkerung über das Projekt informiert © Josh David Lim

Es besteht die Gefahr, dass die Wasserumleitung an der Shushica zu einem Präzedenzfall wird. Denn was heute an der Shushica passiert, kann morgen an anderen Stellen des Nationalparks geschehen. Die Glaubwürdigkeit des gesamten Wildfluss Nationalparks steht hier auf dem Spiel“, sagt Olsi Nika, Geschäftsführer von EcoAlbania.

"Der Wildfluss Nationalpark basiert auf einem weitgehend natürlichen, ungestörten Wasserhaushalt seines Adernetzes. Das macht dieses Gebiet so einzigartig, deshalb kommen Menschen aus ganz Europa hierher. Dieses Ableitungsprojekt gefährdet deshalb den gesamten Nationalpark. Deutschland und der WBIF müssen sich aus dem Projekt zurückziehen, falls Albanien die Bauarbeiten nicht umgehend einstellt und eine echte UVP anordnet," so Ulrich Eichelmann, Geschäftsführer von Riverwatch.

Die albanische Regierung hat vermutlich angenommen, dass wir im Gegenzug zur Ausweisung des Vjosa Nationalparks die Augen vor dem einen oder anderen naturzerstörerischen Projekt verschließen, aber wir sind nicht bestechlich. Wir werden nicht aufgeben, ehe die Vjosa und ihre Nebenflüsse wirklich sicher sind!“, sagt Annette Spangenberg, Leiterin Naturschutz bei EuroNatur.

 

Die gemeinsamen Forderungen der Anwohnerinnen, Bürgermeister, Wissenschaftler und Aktivistinnen lauten zusammengefasst:

  1. Sofortiger Baustopp
  2. Durchführung einer neuen Umweltverträglichkeitsprüfung
  3. Im Rahmen dieser UVP sollen mit Hilfe nationaler und internationaler Experten alternative Wasserressourcen für das Küstengebiet um Himara untersucht werden.

Hintergrundinformationen:

  • Im März 2023 wurde in Albanien der Vjosa Nationalpark gegründet, Europas erstes Wildfluss-Schutzgebiet, der ein insgesamt 404 Kilometer langes Adernetz der Vjosa mit ihren Zuflüssen Shushica, Drino und Bënça umfasst. Nach weniger als einem Jahr ist der Nationalpark nun in Gefahr; die Bauarbeiten sind bereits weit fortgeschritten und sollen im August dieses Jahres abgeschlossen sein.

  • Das naturzerstörerische Vorhaben wurde bislang auch mit deutschem Steuergeld finanziert, nämlich mit Mitteln der Kreditanstalt für Wiederaufbau im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie dem Western Balkan Investment Framework (WBIF).

  • Die Kampagne „Rettet das Blaue Herz Europas“ dient dem Schutz von Flüssen mit besonders hohem Naturwert auf der Balkan-Halbinsel, die von mehr als 3.400 Wasserkraft-Projekten und weiteren naturzerstörerischen Plänen bedroht werden. Die Kampagne wird von den internationalen Naturschutzorganisationen Riverwatch und EuroNatur koordiniert und gemeinsam mit Partnerorganisationen in den Balkanländern umgesetzt. Der lokale Partner in Albanien ist EcoAlbania. Weitere Informationen unter https://balkanrivers.net/de.

  • Die Kampagne wird unter anderem unterstützt von der Manfred-Hermsen-Stiftung.

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