Kampagne

Die Balkan Flüsse: Rettet das blaue Herz Europas

Piva (Montenegro, Bosnien & Herzegowina). Foto: Anonym
Piva (Montenegro, Bosnien & Herzegowina). Foto: Anonym

Jahrelang waren sie nur “Insidern” bekannt – die einmaligen Flusslandschaften der Balkanhalbinsel. Nirgendwo sonst auf unserem Kontinent findet man noch eine so überwältigende Zahl und Vielfalt  an nahezu unberührten Fließgewässern: kristallklare Bäche, Wildflüsse mit ausgedehnten Schotterflächen, intakte Auwälder, tiefe Schluchten, spektakuläre Wasserfälle und sogar unterirdische Karstflüsse. Letztere treten im Herbst und Frühling während starker Niederschläge und zu Zeiten der Schneeschmelze wie aus dem Nichts an die Oberfläche.  Außerdem gehören die Balkanflüsse zu den wichtigsten Zentren europäischer  Artenvielfalt, vor allem für Fische und Weichtiere. Zahlreiche gefährdete und endemische Arten leben hier. Seltene Pflanzengesellschaften und auf das Wasser angewiesene Tierarten sind nicht nur in den Flüssen, sondern auch in den angrenzenden Auenlebensräumen zu finden. Das blaue Herz Europas schlägt auf dem Balkan.

Doch dieses einzigartige Naturjuwel ist bedroht. Die Flüsse des Balkans sollen im wahrsten Sinne des Wortes „verstaut“ werden. 2.796 Wasserkraftwerke (einschließlich Kleinwasserkraftwerke mit einer Kapazität von 0-1 MW) sollen dort in den nächsten Jahren gebaut werden – in vielen Fällen von Firmen mit Sitz innerhalb der Europäischen Union und mit Darlehen europäischer Kreditanstalten. Selbst die schönsten und wertvollsten Flussabschnitte drohen diesen Plänen zum Opfer zu fallen. Nicht einmal  Nationalparks bleiben verschont. Kurz: Dem blauen Herz droht der Infarkt!

Doch kaum jemand weiß um die akute Bedrohung dieses einzigartigen Naturerbes. Selbst in Expertenkreisen ist weitgehend unbekannt, in welcher Gefahr die Balkanflüsse schweben. Die Kampagne „Rettet das blaue Herz Europas“ soll das ändern.

Valbona (Albanien). Foto: Goran Šafarek
Valbona (Albanien). Foto: Goran Šafarek
 

Hydromorphologie

In Vorbereitung auf die Kampagne haben wir die Hydromorphologie (struktureller Zustand eines Flusses) von 35.000 Flusskilometern auf der Balkanhalbinsel untersucht (hier zur Orginalstudie sowie zu den Daten Updates 2015 und 2017). Das Ergebnis ist beeindruckend: 30 Prozent der Balkanflüsse sind in einem natürlichen Zustand, weitere 50 Prozent sind nur gering bis mäßig verändert. Das heißt, fast 80 Prozent der untersuchten 35.000 Kilometern Fließgewässer sind in einem sehr guten bis akzeptablen Zustand.  Auf einer Karte sieht der Status Quo der Balkanflüsse so aus:

Diesen Zustand streben die EU Mitgliedsstaaten mit Hilfe der Wasserrahmenrechtline in den kommenden Jahren auch für das übrige Europa an. Derzeit sieht das Bild innerhalb der EU noch umgekehrt aus.  Zum Vergleich hier die hydromorphologische Karte von Deutschland. Sie spiegelt den typischen Zustand europäischer Flüsse wieder. Ein Großteil ist durch Flussregulierung, Staudammbau, Schifffahrt, oder andere wasserbauliche Maßnahmen beeinträchtigt oder zerstört:

Quelle: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Hydrologischer Atlas von Deutschland. Gewässerstruktur (2001). Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA). Link: http://www.hydrology.uni-freiburg.de/forsch/had/pdf/had_kap7s.pdf, S.29
Quelle: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Hydrologischer Atlas von Deutschland. Gewässerstruktur (2001). Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA). Link: http://www.hydrology.uni-freiburg.de/forsch/had/pdf/had_kap7s.pdf, S.29

 

Zentrum der Artenvielfalt

Flussmuschel (Unio crassus), Foto: Jörg Freyhof

Flussmuschel (Unio crassus), Foto: Jörg Freyhof

Im Jahr 2011 haben wir die Vielfalt der Fisch-, Muschel- und Schneckenarten  in der Region untersucht (hier zur Studie). Wieder waren wir überrascht, dieses Mal von dem hohen Anteil gefährdeter und endemischer Arten: 69 Fischarten kommen nur in den Balkanflüssen und sonst nirgendwo auf der Welt vor. Über 40 Prozent aller gefährdeten Süßwasser-Molluskenarten (Muscheln und Schnecken) Europas leben in den Flüssen und Seen der Balkanhalbinsel. Dies macht die Region zu einem der wichtigsten Hotspots für Süßwasserarten in Europa.

Doch damit noch nicht genug. Sehr wahrscheinlich tummeln sich  in den Fließgewässern auf dem Balkan noch unentdeckte Arten. Denn viele der Gewässer sind kaum erforscht. Erst kürzlich wurde eine neue Köcherfliegenart entdeckt.

Für einen ganz besonderen Fisch dürften die Balkanflüsse von entscheidender Bedeutung sein: den bis zu 1,8 Meter großen Huchen (Hucho hucho). Einst war die Art über den gesamten Donauraum verbreitet. Heute konzentriert sich das Verbreitungsgebiet der letzten „gesunden“ Huchenbestände dort  auf einige wenige Flüsse, die nun durch Staudämme bedroht sind. Bisher wusste die Wissenschaft wenig darüber. Um die Auswirkungen geplanter Wasserkraftprojekte auf den Huchen fundiert beurteilen zu können, haben wir im Rahmen der Kampagne seine Verbreitung  weiter erforscht.  Die Studie, durchgeführt von 18 Wissenschaftler aus 7 Ländern, ergab klar, dass die Balkanflüsse  das letzte große Kerngebiet dieser Art sind. In 43 Flüssen wurden auf einer Strecke von insgesamt 1.842 Kilometern überlebensfähige Huchenpopulationen nachgewiesen. Finden Sie hier die Studie und weitere Downloads.

Der Huchen, Foto: Andreas Hartl
Der Huchen, Foto: Andreas Hartl

Würden die Staudammprojekte umgesetzt, hätte das fatale Folgen für die Artenvielfalt in Europa. Circa 75% aller gefährdeten Fisch- und 70% der gefährdeten Weichtierarten könnten in einem vom Staudammbau veränderten Lebensraum nicht überleben.

Finden Sie mehr Fotos hier: Gallery "Zentrum der Artenvielfalt"

Die Bedrohungen

Laut unserer jüngsten Datenaktualisierung von 2020 ist in den kommenden Jahren der Bau von 3.431 Wasserkraftwerke (einschließlich Kleinwasserkraftwerke mit einer Kapazität von 0-1 MW) im gesamten Projektgebiet geplant, zusätzlich zu den 1480 bestehenden und 108 im Bau befindlichen. Auf einer Karte sieht das so aus:

Viele Länder planen den „Totalausbau“ ihrer Flüsse. Nach Fertigstellung einiger neuer Dämme  sieht das Land Nord-Mazedonien den Bau  von weiteren 193 Wasserkraftwerken vor (weitere 12 werden bereits gebaut) während Albanien 410 zusätzliche Dämme plant (weitere 24 sind im Bau). In Bosnien-Herzegovina sind 390 Anlangen in Planung, in Serbien sogar 824. Wir können unser europäisches Flusserbe nur erhalten, wenn die Goldrausch-Atmosphäre, die sich seit einigen Jahren im Wasserkraftsektor abzeichnet, maßgeblich überdacht wird.

Unsere Mission

  

Wir wollen die einzigartigen Flusslandschaften der Balkanhalbinsel erhalten, indem wir die ökologisch wertvollsten Ströme und Flussabschnitte vor der Zerstörung bewahren.  Sie sollen vor allem zugunsten der Natur und Artenvielfalt geschützt werden, aber auch zugunsten der Menschen, für die die Flüsse eine tiefe symbolische und kulturelle Bedeutung haben oder die anreisen, um die letzten Wildflüsse Europas zu erleben. Wir glauben, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Balkanländer vom Erhalt der Naturschätze nachhaltiger profitiert als von ihrer Zerstörung. Diese Naturschätze haben das Potential  eine nachhaltige sozio-ökonomische Entwicklung anzukurbeln – eine Perspektive, die auch für künftige Generationen erhalten bleiben soll.

Zweifellos muss der Energiebedarf der Balkanhalbinsel gedeckt werden und es liegt nahe, dass dafür alternative Energiequellen (inklusive Flüsse) genutzt werden. Ziel der  Kampagne “Rettet das blaue Herz Europas“ ist es deshalb nicht, die Wasserkraftnutzung in der Region gänzlich zu blockieren. Doch Planungen zum Ausbau der Wasserkraft müssen dringend Aspekte des Naturschutzes berücksichtigen. Dafür ist ein ausgeklügelter Raumordnungsplan nötig. Dieser muss klar aufzeigen,  wo der Bau neuer Staudämme, vor allem aus ökologischer Sicht, ein tolerierbares Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist und wo hingegen die ausnahmslose Erhaltung der Natur Vorrang haben muss.  Entscheidungsträger benötigen einen Masterplan für alle Balkanflüsse, der No-go-Areas für Wasserkraft-Investitionen festlegt. Noch gibt es so etwas nicht. Derzeit sind Staudämme im gesamten Fluss-Netzwerk der Balkanhalbinsel geplant oder bereits im Bau. Wir erleben eine Art Goldrausch-Atmosphäre im Wasserkraftsektor, die das blaue Herz Europas samt seiner Vielfalt und Einzigartigkeit zu zerstören droht.  

Unsere Ziele

Drin (Albanien). Foto: A. Vorauer
Drin (Albanien). Foto: A. Vorauer
Um die Balkanflüsse als einzigartiges europäisches Naturerbe zu bewahren, haben die  Naturschutzorganisationen EuroNatur und RiverWatch - in Kooperation mit lokalen Partnerorganisationen -  die Kampagne „Rettet das blaue Herz Europas“ ins Leben gerufen.

In unserer Kampagne konzentrieren wir uns auf vier besonders wertvolle Schwerpunktgebiete: die Vjosa in Albanien, den Mavrovo Nationalpark in Mazedonien, die Save auf ihrer gesamten Fließstrecke in Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien, sowie die Flüsse in Bosnien & Herzegowina. Alle vier Gebiete sind durch große Staudammprojekte bedroht.

Unsere Ziele sind:

  • die Öffentlichkeit über den ökologischen Wert und die Bedrohung der Balkanflüsse  informieren
  • die Staudammprojekte in den vier Schwerpunktgebieten der Kampagne stoppen
  • die Erstellung eines Masterplans für alle Balkanflüsse mit No-go-Areas für Wasserkraftwerke in die Wege leiten
  • das Wissen über die Artenvielfalt derjenigen Balkanflüsse vergrößern, die eine spezielle Rolle hinsichtlich der biologischen Durchgängigkeit spielen und besonders reich an Endemiten sind

Rettet das blaue Herz Europas!

Neretva (Bosnien & Herzegowina). Foto: A. Vorauer

Neretva (Bosnien & Herzegowina). Foto: A. Vorauer

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